Portrait Hermann Sammer
c Daniel Zangerl
Zöblen

Hermann Sammer – Biohotel Bergzeit

Interview • Locationtipps

Hermann Sammer ist sich sicher: Als Hotelier kann er Menschen inspirieren. Vorbild sein. Etwas bewirken. Wie du das in seinem Natur- und Biohotel Bergzeit im Tannheimer Tal spürst, verrät er im Interview.

Robert Kropf
4. Januar 2024

Hier im Tannheimer Tal kennt man die Sammers. Seit Jahrzehnten begrüßt die Familie Gäste in ihrem Landhaus Sammer und im Rosenchalet. Bis die Kinder Hermann und Martina mit ihren Partner*innen Carina und Michael 2016 im fünf Minuten entfernten Mini-Ort Zöblen ihr gemeinsames Herzensprojekt Realität werden ließen: das Natur- und Biohotel Bergzeit. Alle vier kommen aus der Hotellerie und Gastronomie, sie ticken gleich und entsprechend hoch steckten sie den eigenen Level: alles muss bio sein.

Hermann ist der Mann der Zahlen im Haus und führt die Geschäfte. Seine Frau Carina leitet die Rezeption und ist fürs Marketing verantwortlich. Michael verwöhnt als Küchenkünstler die Gäste und Martina überblickt das Service. Auch die Eltern, Herbert und Rita, arbeiten im Hintergrund mit. Wie sie mit Klischees umgehen und wie teuer eine 100-Prozent-Bioküche wirklich ist, verrät uns Hermann im Change-Maker-Interview.

 

Beginnen wir unser Interview mit gängigen Klischees. Zum Beispiel Bio im Hotel ist immer teurer.

Unser Küchenchef Michael war kürzlich in einem Hotel in Südtirol. Zu Hause sagte er: Hermann, das gibt’s nicht, die haben nur rosa Teile aus der Küche getragen. Also nur Edelstücke, Filets und Steaks. Nix Geschmortes, kein Tafelspitz. Wenn ich so koche, ist der Wareneinsatz natürlich superhoch. Dann ist Bio im Hotel teuer. Bei uns ist es anders: Wir arbeiten mit ganzen oder halben Tieren. Wir nutzen alles. Dann gibt’s halt mal etwas Faschiertes und ein günstigeres Fleisch aus dem Bio-Sortiment dazu. Und wir kochen mit ganz viel Bio-Gemüse. Ich bin mir hier meiner Sache völlig sicher: Ich kann mein 100-Prozent-Biohotel zum selben Preis wie ein Nicht-Bio-Hotel führen. Ich muss mich nur mehr mit den Produkten beschäftigen, längerfristig planen und kreativer sein.

Klischee Nummer zwei: Im Bio-Hotel gibt es nur Körndl, da muss ich auf Vieles verzichten.

Es kommen immer noch Gäste, die viele Fragen stellen: Gibt’s bei euch auch Fleisch? Bio, das kann ja nicht schmecken, oder? Was soll an dem Bier bio sein? Wir erklären dann viel. Dass alles – vom Rohstoff bis zur Produktion, vom Bauern über den Lieferanten bis zum Handtucherzeuger – biozertifiziert ist. Dann ist das für die Gäste auch schlüssig, und sie verstehen es. Verzichten musst du als Gast überhaupt nicht. Es gibt bei uns alles, was es anderswo auch gibt – halt nur 100 Prozent biologisch. Oder sagen wir so, es gibt fast alles. Manchmal reduzieren wir bewusst, weil es uns wichtig ist.

Biohotel Bergzeit – 100 Prozent Natur im Tannheimertal

Wirfst du im Biohotel Bergzeit einen Blick in die Speisekarte und ins Weinbuch, hast du das Haus zur Gänze sofort verstanden – hier ist alles zu 100 Prozent bio. Die Sammers kennen all ihre Produzentinnen und Lieferanten persönlich. Wer gut ist, braucht keine Chemie lautet das Motto der Tannheimer Hoteliersfamilie Sammer. 

Klischee Nummer drei: Beim Thema Nachhaltigkeit kann man alleine ja nichts bewirken.

Als Hotelier bewirke ich superviel, weil ich meine Gäste inspirieren kann. Als Individuum denke ich mir: Einfach anfangen und Vorbild sein. Irgendwo bewegt sich immer etwas. Das Schlimmste ist, gar nichts zu tun. Wir können nicht warten, bis irgendein anderer anfängt. Wenn ich zweimal in der Woche das Auto stehen lasse und das Rad nehme, oder zwei Mal die Woche kein Fleisch esse, dann bewege ich etwas. Ganz sicher.

Damit ist dein Hotel ja eine Bühne für ein achtsameres und bewussteres Leben, eine Schule für Leben mit Bio. Wie kommt das bei den Gästen an? Wie stark spürst du dieses Bewusstsein schon?

20 Prozent unserer Gäste sind die eigentliche Bio-Kontrolle im Haus. Das sind die schärfsten Kritiker. Wenn eine Avocado am Frühstücksbuffet liegt, dann fragen sie, ob das sein muss. Die Gäste sind die besten Tester. Sie bringen uns zum Nachdenken und Verändern. Ihre offenen Augen helfen gegen die Betriebsblindheit. Und wir sehen im eigenen Betrieb ganz klar, dass die Zahl dieser Gäste größer wird.

Die Gretchenfrage: Wie haltet ihr es mit bio und regional?

In unserem Fall ist das ganz einfach: Alles bei uns ist 100 Prozent bio. Vom Fleisch über das Gemüse bis hin zu den Säften, Schnäpsen, Wein und Bier. Egal, woher es kommt. Je näher, desto besser. Wir haben über 20 Bio-Gin-Sorten an der Bar. Wenn Bio aus der Region kommt, passt das für uns. Unser Problem mit dem Begriff „regional“ ist, dass es nichts über die Anbaumethode, über die Tierhaltung und Vieles mehr aussagt. Es gibt da falsche Vorstellungen davon: Viele stellen sich da den Huberbauern vor, der drei Hühner streichelt und bei dem jede Kuh einen Namen hat. Aber das ist halt im echten Leben nicht so: Wenn ein Großbetrieb im Tannheimer Tal 1000 Schweine hat, dann stellt er regionale Produkte her. Nur ohne Zertifizierung sagt das nichts über die Art der Tierhaltung und Fütterung aus. Ein regionales Produkt ist nicht automatisch ein gutes Produkt.

Image
Fassade vom Hotel Bergzeit im Winter
c Mindpark Daniel Zangerl
Image
Koch in einer großen Küche mit vielen Töpfen
c Mindpark Daniel Zangerl

Es muss aber deswegen auch nicht schlecht sein, oder?

Nein. Auch wir kaufen Produkte von regionalen Bauern. Die müssen in unserem Fall dann halt biozertifiziert sein. Mir geht es da um die realistische Einschätzung: Das Hendl von der Nachbarin, die ich seit 30 Jahren gut kenne, mag top sein. Aber bei dem großen Bedarf der Gastro und Hotellerie kannst du mit dem Hendl der Nachbarin keine Speisekarte füllen. Das führt oft dazu, dass hier sehr ungenau gearbeitet wird. Kürzlich war ich in einem Restaurant in Tirol und ich habe mich für das regionale Menü entschieden. Dann bekam ich einen Rinderbraten mit Burgunder-Sauce serviert. Ist das jetzt ein regionales Gericht?

In der Gastronomie wird intensiv über Herkunftsbezeichnungen diskutiert. Wäre das aus deiner Sicht eine gute Lösung?

Die Frage ist immer die nach der Kontrolle. Ich nehme da wieder Bio her: Wir müssen alle Lieferscheine aufheben, alle Rechnungen, alle Daten. Wenn der Kontrolleur unangemeldet kommt, und er findet zehn Mal die Rechnung vom Bio-Bäcker nicht, dann kriegen wir Stress. Unabhängige und unangemeldete Kontrollen, das ist mit Sicherheit die Lösung. Das ist nicht angenehm, aber das ist richtig.

Meinst du damit, es braucht nicht mehr Zertifizierungen, sondern mehr Kontrolle der Zertifizierungen?

Exakt. Das ist genau der Punkt. Bei der Bio-Zertifizierung kannst du nicht schwindeln. Bei vielen anderen Zertifizierungen lassen die fehlenden Kontrollen viel Spielraum offen. Also wenn schon Herkunftsbezeichnung, dann mit genauen Kontrollen. Zertifizierungen an sich sind schon sehr gut, um überhaupt zu wissen, wo stehe ich, wo liegen meine Verbesserungsmöglichkeiten. Für mich im Biohotel ist zum Beispiel der Gesamt-CO2-Abdruck ein wichtiger Maßstab. Durch die Zertifizierung weiß ich, wo meine Energiefresser versteckt sind, wo ich etwas bewegen kann. Durch das Messen kann ich Ideen entwickeln, wie wir uns verbessern.

Wo sind deine Baustellen im Hotel?

Ganz klar das Heizungssystem. Unser Weg führt so rasch wie möglich weg vom Öl hin zu erneuerbaren Energien. Der nächste anstehende Umbau in gut einem Jahr löst genau dieses Problem. Stromtechnisch sind wir gut aufgestellt. 70 Prozent kommen vom eigenen Tal-Wasserkraftwerk. Der Rest wird zu 100 Prozent aus Ökostrom dazugekauft.

Wann war dein Change Moment, wo klar war, ich geh den Bio-Weg?

Das war schleichend. Das meiste davon kommt von meinen Eltern und aus der Kindheit. Sie haben immer gesagt: Geht raus, schaut euch die Welt an, geht sorgsam mit ihr um. Das begleitet mich schon immer. Die Eltern haben das vorgelebt. Wir haben immer Kaninchen gezüchtet und auch geschlachtet und gegessen. Mein Vater hat auch Lämmer gekauft und verarbeitet. Als Kinder waren wir da völlig natürlich in Berührung damit. Auf die Natur aufpassen, gute, gesunde Dinge essen, so gut wie nix wegschmeißen. Das hat uns geprägt.

Du führst das Hotel mit deiner Schwester und euren Partnern. Gibt es da oft Diskussionen um Bio und Co?

Ich kann mich noch gut erinnern, als wir 2013 die Entscheidung gefällt haben, ein Biohotel zu machen. Wir saßen alle am Tisch, und es war allen Vieren glasklar, dass es in diese Richtung geht. Bevor der erste Bagger angerollt ist, sind wir schon der Vereinigung der Bio Hotels beigetreten. Wir wollten das von Anfang an voll durchziehen. Da gab es auch Gegenwind. Viele haben gesagt, das kann nicht funktionieren. Heute sind das unsere Schulterklopfer, die immer schon gewusst haben, dass Bio eine gute Idee ist.

Was fängst du konkret mit dem Begriff Nachhaltigkeit an?

Erstens habe ich gelernt, dass es nicht eine Nachhaltigkeit gibt, sondern viele. Nachhaltigkeit bei den Mitarbeitenden, Nachhaltigkeit bei den Ressourcen, bei der Energie. Im Dorfleben. In der Zusammenarbeit mit Produzent*innen. Und zweitens würde ich den Begriff gerne in Langfristigkeit umtaufen. Wenn ich längerfristig investiere, zum Beispiel in das Team und in die Energiekreisläufe, dann ernte ich viele Früchte – nicht immer sofort, dafür dann aber lange.

Hier bekommst du jede Menge achtsame Tipps für Reisen –
und ein gutes Gefühl für deinen nächsten Urlaub. 

Melde dich zum Good News-Letter der change maker Hotels an!

Was sind die nächsten großen Ziele für euch im Biohotel Bergzeit?

Die nächsten Gedanken sind ganz klar: Noch besser werden, vor allem im ökologischen Bereich. Die Heizung verbessern. Wir kümmern uns noch mehr um die Mitarbeitenden. Wie können wir Arbeitszeiten noch flexibler machen. Welche Benefits machen Sinn? Hier wollen wir Pionierarbeit leisten. Und dann haben wir noch eine Spielerei oder Spinnerei: Wir möchten eine kleine Landwirtschaft aufbauen.

Eine Landwirtschaft, um damit das Hotel zu beliefern?

Wir stellen uns das alles sehr klein vor: 20 Hühner, zehn Schafe, ein paar Ziegen, ein paar Rinder, ein paar Schweine über den Sommer. Was halt in der Region immer schon war. Das soll kein Streichelzoo sein, wir verwerten das schon. Auf eine Weise wollen wir wieder 100 Jahr zurück. Auf andere Weise wollen wir das alte Wissen erhalten und auch erneuern. Wir möchten diese ländliche, bäuerliche Erfahrung weiterleben, moderner machen, anders machen. Und unseren Kindern weitergeben.

Was treibt euch an?

Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass es besser wird. Wir möchten ein gutes Gewissen haben, dass wir gute Produkte verwenden. Wir haben eine Verantwortung der Natur gegenüber, der Region, dem Dorf, den Menschen. Vor allem unseren Kindern gegenüber. Diese Verantwortung nehmen wir wahr, die nehmen wir auch an.

Was werden eure Kinder in 20 Jahren zu eurer jetzigen Arbeit sagen?

Da gibt es zwei Varianten. Die erste: Cool, dass ihr euch das damals getraut habt. Die zweite: Mama und Papa, warum habt ihr das damals nicht viel radikaler gemacht. Beide Varianten sind sehr realistisch.

Visionär*innen